DIE TOP-THEMEN |
— Wegen Meloni-Flirt: SPD und Grüne haben ein Ultimatum an Kommissionschefin von der Leyen gestellt.
— Wachsender Einfluss der Rechten: POLITICO analysiert, was die bevorstehende Europawahl für zentrale Politikfelder von der Landwirtschaft bis zur Verteidigung bedeuten würde.
— Streit um Militärhilfen: Ungarn blockiert weitere Unterstützung für die Ukraine.
— Buch der Sünden: Die stellvertretende EU-Kommissionspräsidentin Věra Jourová reist diese Woche nach Kalifornien, um Tech-CEOs von Plattformen wie X, TikTok und Google zahlreiche Beschwerden zu übergeben.
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WORÜBER BRÜSSEL SPRICHT |
REVOLTE GEGEN KOMMISSIONSCHEFIN: Sozialdemokraten und Grüne haben Ursula von der Leyen davor gewarnt, mit einer Zusammenarbeit mit rechtsextremen Abgeordneten auf der Seite der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu liebäugeln. In diesem Fall werde man sie nicht für eine weitere Amtszeit unterstützen, hieß es von mehreren Seiten.
Führende Sozialdemokraten, darunter Kanzler Olaf Scholz und die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahlen, Katarina Barley, drohten, von der Leyens Kandidatur zu torpedieren.
„Wir werden nicht mit der extremen Rechten zusammenarbeiten“, sagte Barley in POLITICOs Berlin-Playbook Podcast und wiederholte das Versprechen von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken, „niemals mit der extremen Rechten und radikalen Parteien zusammenzuarbeiten oder eine Koalition zu bilden, auf welcher Ebene auch immer“.
Kanzler Olaf Scholz warnte bereits am Freitag vor einer Zusammenarbeit mit Melonis Partei, Brüder Italiens. „Die einzige Möglichkeit, eine Kommissionspräsidentschaft zu etablieren, wird sein, sie auf die traditionellen Parteien zu stützen. Alles andere wäre ein Fehler für die Zukunft Europas.“
Die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) Iratxe García stimmte Barley zu: „Wenn von der Leyen versucht, die Unterstützung der Rechten im Parlament zu bekommen, wird sie nicht die Unterstützung unserer Fraktion haben“.
Keine Flirts mehr: Andere S&D-Vertreter forderten von der Leyen dazu auf, klar und deutlich zu erklären, dass sie nicht mit dem Meloni-Lager verhandeln oder Zugeständnisse bei progressiven Politiken wie dem Green Deal machen werde.
Einige hoffen sogar schon auf einen Ersatz für von der Leyen — nämlich auf den ehemaligen italienischen Ministerpräsident Mario Draghi. Für ihn sucht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron derzeit einen Top-Job in der EU.
Draghi als Alternative: SPD-Bundestagsabgeordneter Ralf Stegner sagte uns: „Wenn Macron gegenüber einer weiteren Amtszeit von Ursula von der Leyen kritisch eingestellt ist, die es an hinreichender Klarheit gegenüber Bündnissen mit dem Rechtsblock vermissen lässt, habe ich dafür jedes Verständnis“.
Auch die Grünen drohten, der Kommissionschefin die Unterstützung zu entziehen. Deren Spitzenkandidatin Terry Reintke sagte uns, von der Leyen müsse sich entscheiden — entweder stehe sie für eine demokratische Mitte, oder sie arbeite mit Parteien zusammen, „die die europäische Idee und unsere Demokratien verachten“.
Die Partei Vox wolle Muslime in Spanien deportieren, die polnische PiS Partei untermauere die Justiz und Meloni greife die Pressefreiheit in Italien an. „Das sind die Leute, mit denen Ursula von der Leyen beabsichtigt, zusammenzuarbeiten“, warnte Reintke.
Aber, aber: Aussagen vor der Wahl können nach der Wahl ganz anders interpretiert werden. Von der Leyen wird wohl nicht nur Scholz, sondern auch Meloni brauchen — und natürlich die Unterstützung von Frankreichs Präsident Macron.
Macron hält sich derzeit zum Staatsbesuch in Deutschland auf und wird am Dienstag in Berlin Kanzler Scholz treffen. Vielleicht steht auch die Personalie auf der Tagesordnung.
WORST-CASE-SZENARIEN: Sollten die Rechten im Europäischen Parlament an Einfluss gewinnen, hätte das weitgehenden Einfluss auf zentrale Politikfeldern. POLITICO hat die wichtigsten Bereiche in den untenstehenden Punkten genauer angesehen.
ENERGIE UND KLIMA |
GREEN DEAL MIT RECHTEN: Von der Leyen startete mit ambitionierten Klimaplänen in ihre Amtszeit. Bei einer Allianz mit Europas Rechten — und insbesondere mit Meloni — würde davon nicht viel übrig bleiben.
Schlechte Vorzeichen: Meloni wetterte bereits gegen den „Klimafundamentalismus“ des Pakets, stellte die Elektrifizierung als „Allheilmittel“ für die Dekarbonisierung in Frage und machte grüne Politik für Überschwemmungen im eigenen Land verantwortlich.
Gleichzeitig stimmte Italien gegen mehrere wichtige Vorschläge — oder enthielt sich. Dabei ging es um Themen wie Renaturierung, Verpackungen und dem Verbot von Verbrennungsmotoren.
Grüne Gruppen sind bereits besorgt: „Melonis Partei hat die vergangenen fünf Jahre damit verbracht, von der Leyens europäischen Green Deal zu sabotieren“, sagte Tycho Vandermaesen, politischer Direktor des WWF, unserem Kollegen Victor Jack.
Nachlassender Ehrgeiz: Auch wenn größere Rückschritte unwahrscheinlich seien, so Simone Tagliapietra, Senior Fellow beim Thinktank Bruegel, „sollten wir uns eher Sorgen über die Untätigkeit auf nationaler Ebene machen, wenn die EU nicht mit ‚Zuckerbrot und Peitsche‘ auf Fortschritte drängt“. Die anfälligsten Bereiche? Verkehr und Gebäude.
Aber das ist noch nicht alles: Laut Mats Engström, einem Analysten des European Council on Foreign Relations, könnte die Allianz eine Verzögerung des Auslaufens der kostenlosen Zertifikate für die Industrie und eine Verlängerung der „Preispause“ im EU-Emissionshandelssystem sowie ein Verbot des Verbrennungsmotors bedeuten.
Künftige Abstimmungen — auch über die Klimaziele der EU für 2040 — würden „wahrscheinlich zu geringeren Ambitionen führen“, sagte er.
AUßERDEM ERFAHREN LESERINNEN UND LESER des Energy-and-Climate Newsletters: Binnenmarktkommissar Thierry Breton warnt vor einer Abhängigkeit der EU von Chinas grüner Technologie — und der G7-Finanzministergipfel endete am Samstag ohne nennenswerte Ergebnisse zur Klimafinanzierung.
HANDEL |
NEUE HANDELSPOLITIK: Vom Umgang mit China und einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus — die Handelspolitik der EU steht vor potenziell großen Veränderungen.
Handel ist ausschließlich Zuständigkeit der EU, oder? Das stimmt — und die Europaparlamentarier haben oft nur begrenzten Einfluss auf das Endergebnis. Aber sie haben die Macht, die Ratifizierung von Handelsabkommen zu verlangsamen, in der Politik hart zu verhandeln und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Next on the agenda: Unsere Kollegen von Morning Trade haben mit europäischen Gesetzgebern aus allen Fraktionen über fünf brennende Themen gesprochen, die die Handelsagenda in der nächsten Legislaturperiode dominieren werden. Außerdem haben wir sie danach eingestuft, wie kontrovers sie in der nächsten Versammlung sein werden.
Mercosur, muito controverso: Die Frage, ob die EU ihr über zwei Jahrzehnte ausgearbeitetes Handelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenblock Mercosur besiegeln soll, wird eines der heißesten Themen der kommenden Legislaturperiode bleiben.
In einem eher rechtsgerichteten Parlament könnte das Abkommen auf größeren Widerstand stoßen — obwohl die Mitte-Rechts-Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) das Abkommen generell befürwortet. Die größten Kämpfe werden jedoch in den nationalen Hauptstädten ausgetragen werden.
Hartes Durchgreifen gegenüber China: Angesichts der sich verschärfenden Handelskonflikte zwischen der EU und China sind sich die Gesetzgeber einig, dass das derzeitige Vorgehen gegen Pekings selbstbewusstes Auftreten gerechtfertigt ist.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Haltung des Parlaments gegenüber China drastisch ändern wird, sollte es nach rechts rücken. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob der ungarische Premierminister Viktor Orbán — ein wichtiger Verbündeter Pekings — seine parteilosen Abgeordneten dazu bewegen wird, sich einer der rechtsextremen Fraktionen anzuschließen.
AUßERDEM ERFAHREN LESERINNEN UND LESER des Morning-Trade Newsletters, wie eine Empfehlung der Kommission zum Screening von Auslandsinvestitionen noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden könnte. Und: Die symbolischen Sanktionen gegen russische Desinformation kommen voran, die wirtschaftlichen Maßnahmen nicht so sehr.
EU-WAHL |
WEITERE POLITIKFELDER: Auch in den Bereichen Landwirtschaft, Verteidigung, Technologie, Gesundheit und Finanzen dürfte sich vieles ändern.
KAMPF UM AGRARPOLITIK: Die neuen Mitglieder des Agrarausschusses müssen sich mit Themen wie der Reform der EU-Agrarpolitik und der Rolle der Landwirtschaft in der Klimakrise befassen.
Doch ein Parlament voller konservativer und rechtsextremer Gruppen könnte die Umsetzung ehrgeiziger Gesetze erschweren — etwa wie die versprochene Überarbeitung veralteter Tierschutzregeln oder die Eindämmung landwirtschaftlicher Emissionen.
GELDER FÜR RÜSTUNGSAUSGABEN: EU-Staats- und Regierungschefs sind sich einig, dass die Verteidigungsausgaben erhöht werden müssen. Doch die Finanzierung ist noch völlig unklar. Offen ist auch die Frage, wie weit die Mitgliedstaaten bei Rüstungsprojekten zusammenarbeiten sollen.
Die Rechte ist gespalten: Mitglieder der rechtsextremen ID-Fraktion lehnen Schritte hin zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik ab. Die rechtskonservative EKR hingegen plädiert gar für eine EU-Armee.
Von der Leyen in der Mitte: Ursula von der Leyen (EVP) setzt Verteidigung ganz oben auf ihre Agenda und drängt auf einen Verteidigungskommissar und ein EU-Luftverteidigungsschild.
UNEINIGKEIT BEI TECH: Der Rechtsruck im Parlament könnte den Trend zu größeren einheimischen Technologie- und Telekommunikationsunternehmen und weniger Bürokratie fördern.
Konflikte könnten entstehen, wenn die EU versucht, ihre Abhängigkeit von Ländern, wie den USA oder China, zu verringern. Dies ist ein großes Problem für die Technologiebranche, in der viele Anbieter aus den USA kommen und viele Geräte und Komponenten in Asien hergestellt werden.
EU-GESUNDHEITSBUDGETS IM VISIER: Die EU-Solidarität während der Covid-19-Pandemie führte zu einer Welle neuer Gesundheitsgesetze und einem massiven Anstieg des EU-Gesundheitsbudgets.
Doch mit dem Ende der Pandemie und einem rechtsgeneigten Parlament könnte das Budget gekürzt und die Zuständigkeit wieder an die Hauptstädte zurückgegeben werden. Trotzdem könnten die Vorteile einer europäischen Lösung für Gesundheitsprobleme parteipolitische Interessen überwiegen.
EU-GELDNOT: Probleme hat Europa genug. Von einer schwächelnden Konjunktur bis hin zur militärischen Zusammenarbeit und einer Antwort auf den Klimawandel ist die Liste der Herausforderungen lang. Doch wer soll die dafür nötige Politik finanzieren?
Unterschiedliche Ansätze: Für die Linke liegt die Lösung in der Vergemeinschaftung der Schulden. Die Rechte hingegen fordert einen Sparkurs, um die Schulden abzubauen, die die EU-Hauptstädte aufgenommen haben, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern.
Im Detail können Pro-Abonnenten die Analyse hier nachlesen.
WORÜBER BRÜSSEL SONST NOCH SPRICHT |
— UNGARN BLOCKIERT EU-UKRAINE-HILFE: Ungarn steht erneut in der Kritik, weil es eine Einigung über weitere Militärhilfe für die Ukraine blockiert. Diplomaten hatten gehofft, dass diese Woche ein neues Paket von 6,6 Milliarden Euro bereitgestellt wird. Ungarn, das russlandfreundlichste EU-Mitglied, blockiert seit fast einem Jahr die teilweise Rückzahlung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Die ganze Geschichte von Pierre Emmanuel Ngendakumana lesen Sie hier.
— DAS BUCH DER SÜNDEN: Die stellvertretende EU-Kommissionspräsidentin Věra Jourová reist diese Woche nach Kalifornien, um Tech-CEOs von Plattformen wie X, TikTok und Google ihr „Buch der Sünden“ zu präsentieren. Das Buch enthält Beschwerden und Feedback von Dutzenden nationalen Behörden, Regierungen und der Zivilgesellschaft aus ganz Europa. Unsere Kollegen von Morning-Tech haben das Buch gelesen. Die Forderungen im Detail finden Sie hier.